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							 Neue Musik für  historische Orgeln 
					  
Mit der  zunehmenden Beschäftigung mit den historischen Orgeln und vorangetrieben von  Organisten*innen, die an solchen Instrumenten ihren täglichen Dienst versehen,  ist inzwischen ein reiches Repertoire an neu geschaffenen Werken entstanden,  die sich mit ihren „Neuen Klängen“ an den Aufführungsmöglichkeiten der alten  Orgeln orientieren. 
                          Diese  Instrumente bieten mit ihren besonderen Bedingungen - seien es der begrenzte  Umfang, die Stimmungssysteme, die bestimmte Tonarten begünstigen und andere  vollkommen fremd klingen lassen, ihren charaktervollen Klangfarben und  mechanischen Eigenarten – zugleich eine reiche Inspirationsquelle für  Komponisten und Improvisatoren, Orgelmusik neu zu erfinden und die alten Orgeln  ungewohnt und neu erklingen zu lassen. 
                          Ein beliebtes  Vorgehen ist dabei die Verwendung einer alten Vorlage und die  künstlerisch-freie Auseinandersetzung mit dieser. 
                          In diesem  Konzertprogramm gibt es diesen Ansatz mehrere Male: 
                            Pavel Klimashevsky ließ sich von Antonio de Cabezón  „Pavana con su glosa“ anregen, in seiner eignen, jazzig angehauchten Tonsprache  das Thema Cabezóns zu kommentieren, also seine eigenen „glosadas“ zu verfassen.  
                            Genauso, wie Guy  Bovet mit dem ihm eigenen Humor seinen „Fandango mio“ anreichert und das  originale Stück von José Blasco de Nebra virtuos ergänzt und sich zu  eigen macht.  Hier treffen Virtuosität, Witz, Humor und ein augenzwinkernder  Blick auf die spanische Folklore aufeinander und beweisen: keine Angst vor  neuer Musik! 
                          Die “Estampie  voor orgel” von Hans Koolmees hingegen bezieht sich nur teilweise  zitathaft auf das vorangestellte Stück aus der ältesten, schriftlich  überlieferten Orgelmusik, aus dem Robertsbridge Codex, nimmt aber dessen Form,  Rhythmen und tänzerischen Charakter auf. 
                          Die Grundlage  der abendländischen Musik ist der ursprünglich einstimmige gregorianische  Choral. Von der Einstimmigkeit geleitet, schrieb Andries van Rossem ein  für die Orgel ungewöhnliches Stück, nämlich ein Stück mit nur einer Stimme –  Oneliner! Wo doch die Orgel per se das Instrument der Mehr- und Vielstimmigkeit  ist. 
                          Im Barock  schrieben viele Komponisten Werke für Soloinstrumente, die aber trotz der  Einstimmigkeit, auch Harmonien erklingen lassen und z. T. sogar Mehrstimmigkeit  vortäuschen oder aber aufgrund des Klanges, der noch im Raum hörbar ist,  zumindest mehrere Töne gleichzeitig erklingen. Nun ist unser Gehirn immer dazu  geneigt, übergeordnete Linien in der Musik zusammenzufügen und so z. B.  einzelne Spitzentöne zu einer Melodie zu machen, die in Wirklichkeit durchaus  durch einige Töne unterbrochen sein kann. Paul Hindemith nannte dieses Phänomen  den „Sekundanschluss“. 
                            Aus Bachs  Partita für Solo Violine - also genau so ein wie oben beschriebenes Stück -  erklingt eine Bearbeitung der berühmten Chaconne für Orgel. Diese ergänzt die  Harmonien, die auf der Geige nicht oder nur teilweise zum Klingen gebracht  werden können. 
  Edoardo  Bellotti hat dieses  Stück wiederrum auf die Orgel übertragen, damit auch ganz in einer barocken  Tradition stehend, und mit Harmonien ergänzt. So entsteht aus dem einstimmigen  Werk für Solovioline ein Orgelstück, das Einstimmigkeit, Mehrstimmigkeit und  den Variationencharakter miteinander verbindet. 
                          Albert  Behrends war viele  Jahre lang Kirchenmusiker an den bedeutenden Orgeln der ehemaligen Hansestadt  Stade. Wie alle, die lange an historischen Instrumenten Dienst tun, begann auch  er, das Repertoire für die ihm zur Verfügung stehenden Orgeln zu erweitern.  Entstanden aus zahlreichen Improvisationen schrieb er einige  Choralbearbeitungen über Luther-Lieder, von denen im Programm die Bearbeitung  über das Psalmlied „Es wolle Gott uns gnädig sein“ erklingt. 
                          Unsere Aufgabe  ist es nicht nur die historischen Orgeln zu pflegen, sondern sie auch lebendig  zu erhalten, indem sie mit dem ihnen eigenen Repertoire aber auch Erweiterungen  dessen gespielt werden. 
                            Nur so sind die  Orgeln nicht reine Museumstücke, sondern klingende, lebendige Musikinstrumente,  die auch heute noch zu uns sprechen.     
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