Die Orgel
Durch die Wahl des Orgelbaumeisters Gerald Woehl aus Marburg, der bereits viel beachtete große Orgeln gebaut hatte (Leipzig Bachorgel der Thomaskirche, Hildesheim, Cuxhaven, Friedrichshafen, Linz, Viersen, Potsdam u.a.) war garantiert, dass in der nach einem Brand zerstörten, völlig neu erbauten Herz-Jesu-Kirche ein ganz außergewöhnliches Instrument entsteht in der für das 21. Jahrhundert zukunftweisenden Prospektgestaltung, der farbigen Disposition, der technischen Anlage mit zehn unterschiedlichen Magazin- und Keilbälgen, der sensiblen, auf den jeweiligen Charakter der einzelnen Manuale abgestimmten Spieltraktur und besonders der genialen, hochmusikalischen und charakteristischen Intonation jedes Registers.
Die Empore ist als Resonanzraum konzipiert, deshalb konnte auf ein sichtbares Gehäuse verzichtet werden. Die Akustik des Raumes ist auch bei unterschiedlichen Besucherzahlen ganz ausgezeichnet, so dass die Kirche auch vom Bayerischen Rundfunk und den Münchner Opernfestspielen regelmäßig für Konzerte genützt wird.
Klangliche Eckpunkte für die Orgel waren die Musik von Johann Sebastian Bach und Olivier Messiaen. Bei der Disposition und Intonation von Hauptwerk und Oberwerk hat sich Woehl an Vorbildern aus Mitteldeutschland Silbermann, Hildebrandt, Wagner u. a. - orientiert, ohne dass eine Kopie angestrebt wurde. Beim Schwellwerk war die Orgel der Kirche Sainte-Trinité in Paris das Vorbild. Alle Registergruppen Prinzipale, Flöten, Streicher, Gedackte, Aliquote, Zungenregister sind in großer Zahl in sinnvoller Zusammenstellung vorhanden. Die Temperierung geschah nach „Neidhardt für eine große Stadt“. Dadurch klingen auch Alte Meister überdurchschnittlich gut ohne Einbußen für die romantische und neuzeitliche Musik.
Die Orgel hat 60 Register, verteilt auf Hauptwerk, Oberwerk, Schwellwerk und Pedal in klassischer symmetrischer Aufstellung. Alle Pfeifen - außer einigen im Prospekt sind auf Ton geschnitten, ebenso alle Becher der Zungenpfeifen. Alle Metallpfeifen sind ab dem Labium auf halbe Wandstärke ausgedünnt, alle gedeckten Pfeifen haben aufgelötete Deckel.
Die Tastenbeläge bestehen aus Mammutknochen.
Die Spieltraktur ist mechanisch.
Alle Koppeln, auch Sub- und Superkoppeln sind mechanisch.
Die Registertraktur ist elektrisch, Setzeranlage mit Code 9 x 999 Kombinationen.
Walze, wovon eine Einstellung nach einem Plan von O. Messiaen programmiert ist.
Schwelltritt
Tremulant schwach im Oberwerk, Tremulant stark im Schwellwerk.
Orgelsachverständiger in stetiger Zusammenarbeit mit dem Orgelbauer und den Architekten Allmann, Sattler und Wappner war Prof. Karl Maureen, Titularorganist der Herz-Jesu-Kirche, em. Professor und Konzertorganist.
Disposition
I. Manual
Hauptwerk C-a³ |
II. Manual
Oberwerk C-a³ |
III. Manual
Schwellwerk C-a³ |
Pedal
C-f’ |
Principal 16’ |
Quintadena 16’ |
Quintaton 16’ |
Untersatz 32’ |
Bordun 16’ |
Principal 8’ |
Diapason 8’ |
Principalbaß 16’ |
Principal 8’ |
Gemshorn 8’ |
Flûte traversière 8’ |
Subbaß 16’ |
Rohrflöte 8’ |
Unda maris 8’ ab g° |
Viole de Gambe 8’ |
Violonbaß 16’ |
Viola da Gamba 8’ |
Gedackt 8’ |
Voix céleste 8’ ab c° |
Gedacktbaß 16’ |
Flûte harmonique 8’ |
Quintade 8’ |
Cor de nuit 8’ |
Octavbaß 8’ |
Octave 4’ |
Octave 4’ |
Dulciane 4’ |
Violoncello 8’ |
Spitzflöte 4’ |
Hohlflöte 4’ |
Flûte octaviante 4’ |
Gedackt 8’ |
Quinte 2 2/3’ |
Nasard 2 2/3’ |
Quinte 2 2/3’ |
Octave 4’ |
Octave 2’ |
Octave 2’ |
Octavin 2’ |
Mixtur 6-fach |
Groß-Mixtur 6-fach |
Flöte 2’ |
Tierce 1 3/5’ |
Posaune 16’ |
Mixtur 4-fach |
Terz 1 3/5’ |
Cymbale 3-fach |
Trompete 8’ |
Cimbel 3-fach |
Sifflöte 1’ |
Basson 16’ |
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Cornet 5-fach ab c’ |
Sesquialter 2-fach |
Trompette harmonique 8' |
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Trompete 8’ |
Mixtur 4-fach |
Clairon harmonique 4’ |
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Oboe 8’ |
Basson Hautbois 8’ |
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Tremulant schwach |
Voix humaine 8’ |
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Tremulant stark |
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Koppeln:
II-I, III-I, III-II, I-P, II-P, III-P
Baß-Octavkoppeln: I, III-I, III, III-II
Diskant-Octavkoppel III-P
Walze
9 x 999 Setzerkombinationen
Registratur elektrisch
Spieltraktur mechanisch
Die neue Woehl-Orgel der Herz-Jesu-Kirche zu München-Neuhausen
Im November 1994 wurde die Herz-Jesu-Kirche durch einen Brand vollständig zerstört. Dabei war auch der Verlust der bedeutenden Walcker-Orgel von 1953 (IV/76) zu beklagen, deren Disposition seinerzeit von Marcel Dupré beeinflusst worden war. In der Ausschreibung für den Neubau der Kirche wurde bereits betont, dass die reiche kirchenmusikalische Tradition der Gemeinde auch in der neuen Kirche fortgesetzt werden sollte. Für die Architekten war damit die Auflage verbunden, ausreichend Platz für Chor, Orchester und eine dem Raum angemessene Orgel einzuplanen. Der bei einem Ideenwettbewerb preisgekrönte Entwurf der Architekten Allmann, Sattler und Wappner wurde in den Jahren 1997-2000 ausgeführt. Er sah einen Aufbau der Kirche in drei Schichten vor. Die äußere Schicht besteht aus Stahl und Glas und sorgt durch ihre Transparenz für einen entmaterialisierten, schwerelosen Eindruck. Die zweite Schicht ist eine Konstruktion mit Lamellen aus Ahornholz, die sowohl die Lichtführung wie die Akustik maßgeblich beeinflusst. Als innerste Hülle der Kirche fungiert die Betonkonstruktion, die die Empore trägt. Die Empore selbst ist von drei Seiten geschlossen und bildet einen Schalltrichter, der sich zum Kirchenraum hin öffnet.
Die Ausmalung der Empore durch die Künstlerin Anna Leonie trägt den Titel „raumikone 1". Die verwendete Farbe ist ein violettstichiges Braun, das einen Kontrast zu dem golden schimmernden Metallvorhang der Altarseite bildet. Diese Anordnung findet ihre Parallele im mittelalterlichen Kirchenbau, wo das Weltgericht im Westen dargestellt ist und der auferstandene Christus auf der Seite des Sonnenaufgangs. Zudem ist die Empore vom Betrachter nicht als Raum wahrnehmbar, sie bekommt die zweidimensionale Wirkung einer Ikone. Damit weist sie nicht perspektivisch in sich hinein, sondern verweist vielmehr den Betrachter auf sich selbst und auf das räumliche Umfeld. So kommt der Orgelprospekt umso wirkungsvoller zur Geltung. Die Akustik ist dank einer speziellen Beschichtung der Wände und der Decke sowie der Perforierung der Holzlamellen sowohl bei leerer wie bei vollbesetzter Kirche ausgezeichnet.
Die neue von Gerald Woehl gebaute Orgel wurde am 11. Oktober 2003 eingeweiht. Sie ist gekennzeichnet durch außergewöhnliche architektonische Gestaltung und ein eigenwilliges klangliches Konzept. Der Prospekt lässt bei aller Modernität eine klassische Werkgliederung erkennen. Seitlich steht das Pedalwerk in C- und Cis-Seite geteilt. Mittig ist das Hauptwerk angeordnet, darüber das Oberwerk. Das Schwellwerk steht über mehrere Etagen verteilt hinter den beiden anderen Manualwerken auf Sturz. Im Prospekt stehen fast ausschließlich klingende Pfeifen aus den Principalen von Hauptwerk (ab einer Länge von 12'), Oberwerk und Pedal. Der vom Kirchenraum aus nicht sichtbare seitliche Prospekt wird aus Pfeifen des Violon 16' gebildet. Auf ein geschlossenes Orgelgehäuse konnte wegen der schallbündelnden Wirkung der Emporenmuschel verzichtet werden.
Der großzügig bemessene Platz erlaubte eine sensible Hängetraktur für alle Werke. Die Traktur ist so reguliert, dass das gravitätische Hauptwerk dem Spieler etwas mehr Widerstand bietet als das Oberwerk, das zu mehr cembalistischer Artikulation animiert. Das Schwellwerk hingegen legt dem Spieler einen mehr zum Legato tendierenden Anschlag nahe. Die Koppeln sind mechanisch, wahlweise kann für die Oktavkoppeln zum ersten Manual eine pneumatische Hilfe zugeschaltet werden.
Passend zum lichten, sachlichen Stil der Kirche ist die Spielanlage ebenfalls schlicht gehalten und auf notwendige Elemente beschränkt. Die Register sind übersichtlich angeordnet, die wichtigsten Koppeln wahlweise als Zug und Tritt vorhanden. Von der Setzeranlage nach amerikanischem System mit 9 x 999 Kombinationen sind nur die Sequenzschalter sichtbar, alle weiteren Bedienelemente befinden sich in einer kleinen Schublade, so dass der optische Eindruck eines Musikinstrumentes gewahrt bleibt, ohne ein „Cockpit-Feeling“ hervorzurufen. Da auch die überreich vorhandenen Setzer eine Walze in romantischer Musik nur schlecht ersetzen können, ist diese ebenfalls vorhanden. Die Grundeinstellung ist an die Reihenfolge der Register von Messiaens Orgel in der Trinite angelehnt, darüber hinaus kann der Spieler einen weiteren Speicher für die Walze selbst setzen.
Die Windversorgung geschieht über 10 Einzelbälge, dabei wurde auf Ausgleichsbälge an den Laden bewusst verzichtet, um einen lebendigen und atmenden Wind zu erzielen. Der Winddruck der Manuale ist jeweils zweifach unterteilt (75-100 mm WS). Das Oberwerk besitzt einen Keilbalg mit wahlweise einschaltbarer Stabilisierung, so dass der Spieler sich hier zwischen einem relativ stabilen und einem lebendig atmenden Wind nach barockem Vorbild entscheiden kann.
Klanglich ist die Orgel vielseitig einsetzbar, ohne jedoch der Utopie einer Universalorgel zu huldigen. Die Disposition wurde vom Orgelbauer zusammen mit dem Titularorganisten der Herz-Jesu-Kirche und Orgelsachverständigen des Erzbistums München, Prof. Karl Maureen, entworfen. In besonderer Weise sollten die Orgelwerke von Johann Sebastian Bach und Olivier Messiaen darstellbar sein, was Disposition und Intonation entscheidend beeinflusst hat. Damit ist keineswegs eine Einschränkung verbunden, im Gegenteil, ein Instrument, das den anspruchsvollsten Komponisten aus Barock und Moderne genügt, wird auch den Orgelwerken vieler anderer Meister gerecht. So enthält die Orgel eine mitteldeutsche und eine französisch-sinfonische Komponente. Dadurch erklären sich einige Doppelbesetzungen von Registern dort, wo ein einziges Register den unterschiedlichen stilistischen Anforderungen nicht gerecht werden kann.
Hauptwerk und Oberwerk folgen in ihrem wesentlichen Dispositionsaufbau der Silbermann-Orgel der Dresdener Hofkirche. Im Oberwerk wurden ein Gemshorn 8' und eine Flöte 2' ergänzt, und statt des bei Silbermann vorhandenen Echocornetts fiel die Entscheidung zugunsten eines Sesquialter, der neben seiner solistischen Aufgabe auch in der Lage ist, das Plenum des Oberwerks einzufärben. Die Zunge des Oberwerks (Oboe 8') ist dem bei Silbermann im Brustwerk stehenden Chalumeau nachempfunden. Das Hauptwerk ist durch eine für romantische Musik unerlässliche Flüte harmonique ergänzt. Die Viola da Gamba ist in ihrer Intonation an barocken Vorbildern orientiert, was die Verwendbarkeit in romantischer Literatur nicht einschränkt. Die drei Mixturen des Hauptwerks sind nicht additiv zu verwenden, vielmehr stellt die Großmixtur eine Alternative für einen sinfonisch-romantischen Tuttiklang dar, in den sich die beiden am mitteldeutschen Barock orientierten Mixturen nicht optimal integrieren würden. Das Schwellwerk ist an das Récit von Messiaens Orgel in der Trinité angelehnt. Analog zu diesem Instrument ist statt eines tiefen Plein jeu die relativ helle Cymbale disponiert. Das Quintaton 16' ist in der tiefen Lage aus Holz (außerhalb des Schwellkastens) und spricht deutlich milder als die Quintadena im Oberwerk. Darüber hinaus bietet das Schwellwerk selbstverständlich alle zur gültigen Darstellung französisch-romantischer Orgelmusik erforderlichen Farben. Die Intonation erfolgte in der Kirche.
Das Pedal nutzt die Möglichkeiten der Extension, so sind Untersatz 32' und Gedacktbaß 16' miteinander kombiniert, ebenso Subbaß 16' mit Gedacktbass 8' und Violinbass 16' mit Violoncello 8'. So entstehen durch die differenzierte Besetzung der 16'-Lage zahlreiche dynamische Schattierungen, die die Anpassungsfähigkeit des Pedals an jede gewünschte Manualregistrierung garantieren. Die Posaune 16' ist unaufdringlich gehalten und folgt ebenfallsmitteldeutschen Vorbilden. Damit ist sie besonders für das Spiel polyphoner Musik geeignet. Für sinfonische Musik ist eine Bombarde 16' in französischer Bauweise zum späteren Einbau vorgesehen.
Sämtliche Metallpfeifen sind auf Ton geschnitten und nach oben hin ausgedünnt. Die gedeckten Pfeifen sind zugelötet. Die Stimmung ist leicht ungleichschwebend nach Neidhardt („für eine große Stadt") gehalten, in dem Wissen, dass Bach die Stimmungen Neidhardts sehr schätzte.
Autor: Axel Wilberg
Quelle: Ars Organi 4/2004
mit freundlicher Genehmigung der GDO
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Anmerkungen von Professor Karl Maureen
Als Titularorganist der Herz-Jesu-Kirche und Orgelsachverständiger des Erzbistums München und Freising habe ich den Bau der neuen Woehl-Orgel im Jahr 2003 betreut. Die Idee zur musikalischen Gestaltung gaben die beiden Komponisten J.S.Bach und O.Messiaen: mitteldeutsche Intonation mit entsprechender, für Bach geeigneter Temperierung, die auch für Messiaen ideal passt. Dazu eine Disposition, die alle Angaben in den Werken Messiaens und aller großen Orgeln der Bach-Zeit berücksichtigt.
Die Orgel hat 61 Register auf 3 Manualen und Pedal, dazu Glockenspiel, Nachtigall und zwei Zimbelsterne. Erbauer ist Gerald Woehl Marburg.
Wegen der ausgezeichneten Akustik des Raumes und der hervorragenden Intonation werden auch Orgelkonzerte sehr gut besucht.
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