Konzeption
Die Kirche, entworfen von Wolfgang und Martin Kuhn (Schwäbisch Hall), ist auf einem spiralförmigen Grundriß gebaut, der nach Art eines Schneckenhauses in seiner Formensprache Geborgenheit aber auch Konzentration vermittelt. Die Rundung des Foyers führt den Besucher in den Sakralraum, dessen Decke bis zum geosteten Altarbereich hin ansteigt. Die Südwand des Saales, dem Eintretenden gegenüber, ist wellenförmig geschwungen und läßt durch Glaselemente mildes Licht in den Raum. Die Nordwand führt im sanften Bogen vor zum Altarraum. Bevor sie zu einem raumhohen Fenster mit Kunstverglasung ausschwingt, ist in sie die Nische für die Orgel eingefügt. So natürlich und selbstverständlich, wie der Mensch zum liturgischen Zentrum hin geleitet wird, ist auch die künstlerische Gestaltung der Glasfenster und des Altars durch Tobias Kammerer (Rottweil) angelegt. Das Weizenkorn als Samen, das in stilisierter Form auf dem mehrfach geschwungenen Südfenster wie auf Ackerfurchen abgebildet wird, läßt im Fenster hinter dem Altar Halme sprießen und zur Frucht reifen. Der Altar ist als massiver Quader aus Kernholz errichtet, dessen lebendige Maserung durch die Tiefenstaffelung vieler Holzsegmente betont wird. Die Schwingungen im Raum, das Streben nach Höhe in der Architektur, das Wachsen und Reifen der Natur mit dem auch in der Haptik des Altars und der Kirchenbänke spürbaren Respekt vor der Schöpfung sind nicht nur für den Besucher der Kirche als unbewußt lenkende Gestaltung erlebbar, sie werden in der Orgel zusammengefaßt, gebündelt und konzentriert.
Der Orgelprospekt nimmt den Schwung der Nordwand auf und bindet sich ganz in sie ein. Der Pfeifenverlauf führt mit seinen drei Feldern, deren Labienverlauf wie die Kreisbögen der oberen Pfeifenenden die Schwünge und Rundungen der Architektur aufgreift, den Blick zum Altarraum. Die starken Lisenen betonen zudem die Höhenflucht im höchsten Bereich der Kirche, im Altarraum. Auch in der Materialität werden in den Lisenen und der Orgelbank die Maserungen und ganz bewußt auch natürliche Holzstrukturen belassen und gezeigt, die sorgfältig zur deutlicheren Kontrastierung noch mit Schellack aufgefüllt und glatt verarbeitet sind.
Die äußere Konzeption der Orgel ist aus dem und auf den Kultraum hin entworfen, ebenso ist die klangliche innere Konzeption aus dem Kulturraum und auf die Funktion des Instruments im Kultus hin entwickelt. Die Konzeption nahm auf die akustische Notwendigkeit in der Nutzung der Kirche wie auf die Regionalität im Stil Bezug. Der Kirchensaal kann mit Nebenräumen verbunden werden, durch flexible Trennwände können zu den 180 Sitzplätzen des Saals weitere 40-50 Sitzplätze zugeschalten werden. Daher sollte auch durch Streicherstimmen und generell eine grundtönige Basis und, verbunden mit Aliquoten und Mixtur, ausreichende Stärke bereitgestellt werden, um die kompliziertere Akustik bei geöffneten Trennwänden beschallen zu können. Neben der Begleitung des Gemeindegesangs wird auch ein meditatives Spiel insbesondere vor dem Gottesdienst gepflegt. Die dafür vorgesehenen Klangfarben gehen tendenziell eher mit einer stilistischen Ausrichtung am 19. Jh. konform als mit einer anderen Dispositionsanlage. In Süddeutschland liegen für romantische Konzeptionen schnell weltbekannte Namen wie Walcker oder Weigle nahe. Doch näher an den Anforderungen des Kirchenraums nach einer kleineren Orgel und der Gemeinde in der Gegend der schwäbisch-fränkischen Waldberge und der Hohenloher und Haller Ebene war die dort verwurzelte und verbreitete Dynastie der Orgelbauer Schäfer. Die Familien Schäfer unterhielten in Göppingen, in Heilbronn und auch in Schwäbisch Gmünd, später Crailsheim durch das 19. und bis Beginn des 20. Jahrhunderts hindurch bedeutende Orgelbaufirmen. So stammt etwa eine Orgel in Sulzbach/Murr, nur wenige Kilometer von Michelfeld entfernt, aus dem Jahr 1860 von der Heilbronner Linie der Schäfer. Der Familienzweig in Schwäbisch Gmünd errichtete z.B. 1848 in Westheim/Kocher, heute Rosengarten-Westheim, das zum Gemeindegebiet der neuapostolischen Gemeinde Michelfeld gehört, und 1870 in Gaildorf Orgeln. OBM Gilbert Scharfe besitzt gründliche Kenntnis der Schäferschen Instrumente. Wenige Jahre vor der Planung der Michelfelder Orgel konnte er die 1877 von der Heilbronner Firma Schäfer erbaute Orgel in Gochsen reinigen und überholen.
Der Aufbau der Orgel ist schlicht und gerade dadurch auf Stabilität und Dauerhaftigkeit angelegt. Die beiden Manualwerke stehen auf einer Zwillingswindlade und damit auf einer Ebene über der angebauten Spielanlage. Obwohl die romantische Konzeption entsprechend der zweiten Jahrhunderhälfte auch bei Schäfer Kegelladen erwarten lassen könnte, ist in Michelfeld die Schleiflade als System für die Manualwerke gewählt. Nur im Pedal wurde für das eine Register Subbaß eine Registerkanzelle mit flach aufschlagenden Kegelventilen nach der Bauweise Schäfers angefertigt. Da nur eine Kanzelle für ein Register benötigt wurde, sind die Ventile durch Spunddeckel bequem erreichbar. Die Pedallade steht hinter der Manual-Zwillingslade und dem Laufboden tiefergestellt. Die Größe der Nische erlaubt hinter dem Pfeifenwerk einen liegenden Keilbalg, der durch ein elektrisches Gebläse gespeist wird. Auf einen Kastenbalg, wie im späteren 19. Jahrhundert üblich, wurde gerade in Verbindung mit der Schleiflade zugunsten eines freien, leicht atmenden Windes verzichtet.
Die Spielmechanik ist ebenfalls in Verbindung mit den Windladen stilistisch eher vor einer romantischen Zeit anzusiedeln. Von den einarmigen Tasten aus wird das erste Manual hängend direkt hinter der Spielanlage angespielt, das zweite Manual wird auf die Rückseite der Windlade umgelenkt. Durch weitgehenden Verzicht auf Austuchung und Filz ist die Traktur leichtgängig mit deutlichem Druckpunkt, sehr sensibel und angenehm zu spielen.
Die Registeranordnung links der Klaviaturen ist übersichtlich, logisch und gut zu bedienen. Alle gängigen Kombinationen können mit einem Griff gezogen werden. In der inneren senkrechten Reihe der Züge stehen Flöte und Gambe, darunter der Prinzipal, übereinander, damit immer zwei häufig gemeinsam zu ziehende Register übereinander liegen. Darunter folgen Octave, Quinte und Cornettmixtur, die so einen raschen und bequemen Wechsel in der Registrierung ermöglichen. Die äußere Reihe der Registerzüge wird oben von den drei Registern des zweiten Manuals und unten vom Pedal gebildet. Die Koppeln sind als Tritte mit dem rechten Fuß zu bedienen.
Die am Vorbild Schäfers und in stilistischer Orientierung am 19. Jahrhundert entworfene Disposition mit 9 Registern und einem Vorabzug kann allein schon wegen der reduzierten Registerzahl gegenüber den Orgeln des Vorbilds keine Stilkopie sein. Das erste Manual erhielt ein kleineres und leiseres Pendant im zweiten Manual. Den Vorabzug der Quinte eingerechnet sind die Register im Verhältnis 6 : 3 : 1 auf Manuale und Pedal verteilt. Die Trias von Principal, Gambe und Flöte bildet im ersten Manual die Grundlage zu 8‘, im zweiten wird durch das doppeltlabierte Lieblich Gedeckt und das Salicional das Fundament und die Verschiedenheit der Bauformen ergänzt. Die Octave 4‘ im ersten und die Traversflöte 4‘ im zweiten bilden einerseits Gegensätze wie auch dynamische Abstufungen aus. Die Traversflöte mit dem charakteristischen Obertonaufbau ist Abschluß und Klangkrone des zweiten, während im ersten die Quinte ein Vorplenum und die gesamte Cornettmixtur II-IIIfach (mit Terz ab g°) sowohl Klangkrone des Plenum wie Solofarbe hinzufügen.
Das Vorbild für Bauweise und Mensuren aller Klangfarben bilden die Register der Familie Schäfer, fast alle vermessen in Gochsen (Johann Heinrich Schäfer, Heilbronn, 1877), nur die Traversflöte nach Dürnau (Carl Schäfer, Göppingen, 1880). Aus den Messungen wurden die Konstruktion der Mensurdreiecke erforscht und deren Konstruktionsprinzipien einschließlich der Relationen der Register zueinander wieder auf die Raumgröße der Kirche angepaßt. Die Bauweise der Pfeifen ist bis in Details wie variable Überstände der Expressionen, Labienformen, usw. hinein Schäfer nachempfunden. Dabei entstand keine Stilkopie, sondern die Anregung aus dem persönlichen Stil führte mit Verbindung der Werkstatttradition und Bauweise von Gilbert Scharfe zu einem neuen, in sich stimmigen, aber stilistisch orientierten Orgelklang.
Als Stimmung sollte auf jeden Fall eine ungleichstufige Temperierung gewählt werden. Und da keine genaue Stilkopie sondern das Aufgreifen und die Interpretation des historisch Gewachsenen im schwäbisch-fränkischen Kulturraum beabsichtigt war, konnte auch eine moderne Temperierung nach Janke III angelegt werden.
Das Instrument ist mit dieser Stringenz und Konsequenz im klanglichen Stil und der perfekten Einbindung in die Architektur und Kunst des Sakralraums herausragend in der Neuapostolischen Kirche Süddeutschland. Außer für die Aufgaben im Gottesdienst kann und muß es zu einem Mittelpunkt für Konzert, Öffentlichkeitsarbeit wie Ausbildung und Nachwuchsförderung werden.
Andreas Ostheimer
Disposition
erbaut 2014 durch Orgelbau Gilbert Scharfe
Manual I C-f3> |
Manual II C-f3 |
Pedal C-d' |
Principal 8' |
Lieblich Gedeckt 8' |
Subbaß 16' |
Gambe 8' |
Salicional 8' |
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Flöte 8' |
Traversflöte 4' |
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Octave 4' |
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Quinte 2 2/3' (VAZ) |
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Cornettmixtur II-III |
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Traktur und Laden: mechanisch/Schleiflade, bzw. Schäfersche Kegellade / Flachventil (Pedal)
Koppeln:
Normalkoppeln
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