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Die Orgel in St. Gerhard Werschetz (Vrsac) (Serbien)

Informationen zur Orgel
Disposition

Informationen zur Orgel

Das musikalische Leben in Vrsac nahm eine sehr dynamische Entwicklung im 18. und besonders im 19. Jahrhundert. Es ist schwierig, sie vom Theater und anderen allgemeinen kulturellen Veranstaltungen zu trennen, da diese oft gemeinsam organisiert wurden, sich ergänzten und beeinflussten. Es darf nicht vergessen werden, dass Vrsac im 19. Jh. einen starken wirtschaftlichen Aufschwung erfuhr, der eine Basis für interlektuelle Kreise und ein florierendes kulturelles Leben bot. Daher ist es nicht verwunderlich, dass im Theater serbische, ungarische, deutsche und sogar italienische Ensembles gastierten, während wöchentliche Konzerte einheimischer Musiker und Ensembles in der ganzen Stadt stattfanden, vom Stadtpark bis zur Stadthalle. Die meisten dieser Veranstaltungen hatten unterhaltenden Charakter, allerdings gab es auch regelmäßig Schauspiele, Opern, Ballettaufführungen und Konzerte. In dieser Zeit wurden einige Meisterwerke der Musik, wie Liszts Krönungsmesse und Mozarts Requiem, regelmäßig aufgeführt, fast ausschließlich mit Musikern aus Vrsac, was durchaus als Qualitätsbeweis gelten kann. Nicht zuletzt lebten viele berühmte Musiker, Komponisten, Musiklehrer, Instrumentenbauer und Dirigenten in der Stadt, die dem bürgerlichen Leben des charmanten Ortes einen besonderen Reiz gaben.

Ein wichtiges Zentrum der musikalischen Entwicklung war unzweifelhaft die St. Gerhard Kirche, deren Geistliche seit der Ansiedlung von Donauschwaben und der Gründung der Pfarrei (1720) die Musik beständig förderten. Die Pfeifenorgel der Kirche gab ebenfalls starke Impulse für die Qualität des Musiklebens, da die Kantoren und Chorleiter gleichzeitig hervorragende Komponisten und Lehrer waren.

St. Gerhard in Vrsac ist die größte katholische Kirche in Serbien. Seinerzeit war es die zweitgrößte im ehemaligen Jugoslawien, nach der Kathedrale von Zagreb/Kroatien. Die Kirche wurde 1860-63 auf den Fundamenten der älteren, gleichnamigen Kirche erreichtet.

Über die Orgel der alten Kirche ist wenig bekannt. Felix Milleker, der berühmte Historiker und Chronist des Banat, vermerkt in „Geschichte der königlichen Freistadt Werschetz“ 1886, das es schon 1741 eine Orgel gab und ein Kalkant (Bälgetreter) bezahlt wurde.
Die zweite Orgel wurde 1753 aus Budapest angeschafft. Sie fand Erwähnung im Reisetagebuch von Dr. Josef Lonovics, des Bischofs von Csanád, der sie als „alt“ bezeichnet und die Registerzahl mit 9 angibt.

Die dritte Pfeifenorgel war auf den Raum der heutigen Kirche zugeschnitten. Als die Stadtverwaltung von Vrsac ein neues Instrument benötigte, zog Alois Hörbiger, einer der berühmtesten Orgelbauer seiner Zeit mit seiner ganzen Familie in die Stadt. Hörbiger wurde am 17. Februar 1810 in Thierbach, einem kleinen Tiroler Dorf oberhalb des Wildschönautals, als Sohn eines Bauern geboren. Schon früh zeigte er ein besonderes Interesse an Musik (besonders Orgelmusik), Kunst und Handwerk. Mehrmals reiste er nach Italien, um sich mit den dortigen Orgeln vertraut zu machen. Seine erste Orgel baute er für seinen Heimatort. Danach dehnte er seine Aktivitäten auf Tirol und die Steiermark aus. Zunächst lebte er in dem untersteierischen Ort Cilli (heute Celje, Slowenien), später zog er zusammen mit seinem Bruder Batelmä nach Atzgersdorf in der Nähe von Wien, wo er eine Werkstatt eröffnete. Seine letzte Orgel baute er in Semlin (heute Zemun, Serbien), wo er am 7. Mai 1876 verstarb. Er war ein ungewöhnlicher Orgelbauer. Von einfacher Herkunft und Autodidakt, was zur damaligen Zeit keine gute Referenz war, zeigte er ein nicht zu leugnendes Talent, so dass seine Zeitgenossen ihn als „mechanisches Genie“ betrachteten. Seine Erfindungen trugen ihm Bewunderung ein. Außerdem war er, anders als andere Orgelbauer, bereit, für einen Auftrag mehrere hundert Kilometer zu reisen. Wann und wie Hörbiger in den Banat kam, ist nicht bekannt. Nach den vorhandenen Unterlagen zu urteilen, war Großbretschkerek (heute Zrenjanin, Serbien) seine erste Station, wo er 1867 erwähnt wird. Bei dieser Gelegentheit muss er auch im nahen Setschan/Petersdorf (heute Sečanj, Serbien) gewesen sein, wo seine Söhne Gottfried und Wilhelm die Orgel reparierten. Er ließ sich zusammen mit seinen Söhnen und Töchtern und deren Familien in der Weißkirchener Straße (heute Žarka Zrenjanina) am Stadtrand von Vrsac nieder. Einige seiner Nachkommen blieben dort und bildeten einen eigenen Zweig der Familie.

Hörbigers Orgel tat ihren Dienst bis die jüngste, heute noch in Gebrauch befindliche, Orgel in St. Gerhard gebaut wurde. Das Instrument wurde 1871 mit 2 Manualen und 32 Registern fertig gestellt und besaß einen neugotischen Prospekt. Es kostete die Stadtkasse 12000 Florin.

Während der Restaurierung der Kirche 1902-1907 wurde beschlossen, das Instrument zu ersetzen. Die neue Orgel wurde 1912 von der bekannten Werkstatt Carl Leopold Wegenstein aus Temeschwar (heute Timişoara, Rumänien) geliefert.

Wegenstein wurde 1858 in Kleinhadersdorf bei Wien geboren und verbrachte seine Lehrjahre in Dresden, Berlin, Stuttgart, Erfurt, Luzern und Göttingen. 1880 kam er nach Temeschwar und arbeitete fünf Jahre lang in der Werkstatt von Josef Hromadka. 1885 heiratete er Maria, die Tochter seines Meisters. Das Paar hatte acht Kinder, von denen zwei bereits im Kindesalter starben. 1886 erhielt er die Bürgerrechte von Temeschwar. 1888 übernahm er die Werkstatt seines Lehrmeisters und führte sie bis 1893. In diesem Jahr eröffnete er eine eigene, unabhängige Werkstatt, die mit modernsten Dampfmaschinen, und ab den 20er Jahren auch elektrischen Geräten, ausgestattet war. Im ungarischen Teil der Doppelmonarchie zählte seine Firma neben Rieger/Budapest und Angster/Pecs zu den drei renommiertesten Orgelbaubetrieben.

Zunächst begann er mit neun Mitarbeitern, konnte dann aber die Anzahl der Angestellten n den späten 30er Jahren auf 50 erhöhen. 1926 traten seine Söhne Richard, Josef und Victor in die Firma ein, die den Namen „Carl Leopold Wegenstein und Söhne“ führte. 1934 übertrug Wegenstein aus gesundheitlichen Gründen den Betrieb seinem ältesten Sohn Richard. Wegenstein starb 1937 im Alter von 79 Jahren. 1944 verlor Richard bei einem Bobenangriff auf den Bahnhof Temeschwar seine Werkzeuge. Das markierte symbolisch den Untergang der Firma, die 1948 verstaatlicht und bald darauf abgetragen wurde. Richard reparierte weiterhin Orgeln, während Josefs Sohn, Josef Wegenstein Jr., nach Deutschland zog um bei Laukhuff zu arbeiten.

Während der fast 60jährigen Tätigkeit der Firma wurden fast 400 Orgeln und Harmonien gebaut. Bei der Jahrhundertausstellung 1896 beteiligte sich Wegenstein mit seinem Opus 18, das mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Zunächst wurde die Orgel in der Zentralen Pfarrkirche aufgestellt, später wurde sie von der Stadt angekauft und der Prospekt mit dem Stadtwappen versehen. Das Instrument ist heute nahezu unspielbar. Weitere große Instrumente baute Wegenstein für die Synagoge, die Maria Radna Kirche, die St. Josef Kathedrale (Bukarest), die Kirche in Temeschwar Fabrikstadt und die Kathedrale von Temeschwar.

Laut Experten ist die Orgel der St. Gerhard Kirche innerhalb der Orgellandschaft Vojvodina ein herausragendes Beispiel für den Orgelbau des 20. Jahrhunderts und handwerklich wie klanglich eines der besten Instrumente Serbiens. Außerdem ist sie eines der größten Instrumente, die Wegenstein baute. Sie besitzt, zwei Manuale und Pedal, 35 Register, mehr als 2000 Pfeifen, pneumatische Traktur, Crescendowalze und zahlreiche feste und freie Kombinationen. Trotz jahrelang vernachlässigter Wartung ist sie immer noch ein gesuchtes Konzertinstrument. Obwohl nicht das ganze Potenzial ausgeschöpft werden kann, heben Organisten ihren kraftvollen und vollen Klang hervor. Im Geist des 19. Jh. gebaut, zählt sie zu den letzten ihrer Art, nicht nur in Serbien, sondern auch darüber hinaus. Romantische Orgeln sind in Westeuropa fast verschwunden. Wenn sie nicht ersetzt wurden, so mussten sie doch oft weitreichende Umbauten über sich ergehen lassen. Erhalten blieben gerade diejenigen Orgeln, um die sich niemand gekümmert hat, eben die Instrumente des alten Banat, von denen die in Vrsac die bedeutendste ist. Diese Orgel bringt uns den originalen Klang der Musik des beginnenden 20. Jh. nah. Ein guter Grund, das 100-jährige Bestehen dieses Instruments gebührend zu feiern.

In der Zeit vor dem 2. Weltkrieg wurde die Orgel regelmäßig für Konzerte genutzt. Die durch den Krieg unterbrochene Tradition wurde in den späten 80-er Jahren fortgesetzt, als Carmen Cornier-Stevčić (Mezzosopran) begleitet von Kantor János Lovász einen Arienabend gab. Sie sang auch in den Jahren 1997 und 1998. Das letzte Konzert wurde von RVT Banat am Weihnachtsabend gesendet. Erwähnung verdienen auch die Konzerte von Tripo Simonutti (einem bekannten serbischen Geiger), des Jugendorchesters „Borislav Pašćan“, des akademischen Chores „Branko Krsmanović“, des RTS Sinfonieorchesters aus Belgrad und die Orgelkonzerte von Branka Đorđevic, Maja Smiljanić-Radić und János Lovász. Im August 2012 spielte mit Raúl Priet Ramírez einer der besten Organisten der Welt ein spektakuläres Konzert. Im gleichen Jahr konzertierte Janko Siroma, ein exzellenter junger Organist aus Kovačica (Serbien). 2013 gastieren der deutsche Organist Franz Metz und der Bariton Wilfried Michl, wie auch Saša Grunčić aus Subotica (Serbien) und Vladimír Kopáčik (Slowakien).

Die Notwendigkeit die Orgel zu erhalten drückte R. P. Ramírez sehr prägnant in einem Schreiben vom 6. August 2012 an den „Verein der Werschetzer Orgelfreunde“ aus:
„Mit diesen Zeilen schildere ich Ihnen meinen Eindruck von der Orgel in St. Gerhard in Vrsac. Vom ersten Moment an bemerkte ich, wie ausgewogen und farbig die Akustik in der Kirche ist. Der Nachhall ist nicht zu lang oder zu kurz, sondern reich, ohne verschwommen zu wirken. Ein idealer Ort zum Musizieren. Das Instrument ist ein Zeugnis der Geschichte der Stadt Vrsac. Hinter der schönen neugotischen Fassade verbirgt sich eine perfekte Technik, die Bezug nimmt auf einen Stil, der in Mitteleuropa, z.B. in Österreich, Deutschland und der Schweiz gepflegt wurde. Hier zeigt sich die enge Verbindung Serbiens zu Europa. Diese Ästhetik wird in den genannten Ländern gerade wieder entdeckt aufgrund ihrer außergewöhnlichen Schönheit und Qualität. Dafür ist die Orgel in St. Gerhard ein gutes Beispiel. Ungeachtet ihres schlechten Zustands ist das Potenzial der Orgel zu erkennen und sie sollte zum Nutzen der Bevölkerung und Kultur restauriert werden. Nach der Restaurierung wird die Orgel zur Qualität und Präsenz der Musik in der Stadt beitragen. Außerdem entsteht für eine Generation junger Musiker die Möglichkeit, sich das große Erbe europäischer Musik durch die Königin der Instrumente anzueignen. Die Stadt Vrsac muss diese Orgel restaurieren, sie ist ihr Eigentum, ihre Erbe, ihre Geschichte und somit ihre Identität.“

Zoran Maksimović
Präsident der „Werschetzer Orgelfreunde“

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Vielen Dank.

Disposition

I Manual
(C‐g’’’) – Hauptwerk/Grand
II Manual
(C‐g’’’) – Schwellwerk/Swell
Pedal
(C‐f’)
Bourdon 16´ Quintatön 16´ Contrabass 16´
Principal 8´ Principal 8´ Subbass 16´
Concertflöte 8´ Flute Harmonique 8´ Echobass 16´
Gedeckt 8´ Lieblich Gedeckt 8´ Violon 16´
Fugara 8´ Gamba 8´ Octavbass 8´
Gemshorn 8´ Aeoline 8´ Cello 8´
Salicional 8´ Voix Celeste 8´ Flautabass 8´
Octav 4´ Flute Travers 4’ Posaune 16’
Rohrflöte 4´

Echoflöte 4´

Tuba 8´
Octav 2´ Piccolo 2´
Rauschquinte 2fach, 2 2/3´ Harmonia aetheria 3‐4fach, 2 2/3´
Mixtur 4‐5fac, 2 2/3´ Vox humana 8´
Trompete 8´ Oboe 8´

Feste Kombinationen: Piano; Mezzoforte; Forte; Fortissimo

Auslöser
Handregister “ab”
Crescendo “ab”
Zungen “ab”
Tutti

Koppeln: I/P; II/P; II/I; Superoctav II/I; Suboctav II/I; Tutti


Mit freundlicher Genehmigung von Zoran Maksimovic
Fotos: Werschetzer Orgelfreunde - Zoran Maksimovic
Übersetzung: Axel Wilberg
OI-V-5
weiterführende Links:

Webseite der Werschetzer Orgelfreunde