Die Brucknerorgel im Alten Dom zu Linz
(von Prof. August Humer)
Die Orgel der Ignatiuskirche („Alter Dom“) in Linz ist in mehrfacher Weise ein bedeutendes Denkmal für die Kultur-, Musik- und Orgelbaugeschichte. Leistung und Andenken zweier bedeutender Künstlergestalten haften an diesem Werk und sind noch in der gegenwärtigen Fassung in wesentlichen Teilen präsent. Während der wichtige Orgelbauer des Spätbarocks, Franz Xavier Chrismann, für die ursprüngliche Anlage und den Erstzustand verantwortlich bleibt, hat der Dom- und Stadtpfarrorganist Anton Bruckner durch sein musikalisches Wirken, aber auch wegen seiner entscheidenden Mitwirkung an einer späteren Umgestaltung dem Instrument sein Signum aufgedrückt.
Eigentlich beginnt die Geschichte dieses Instrumentes bereits um das Jahr 1764 in der donauaufwärts gelegenen Stiftskirche Engelszell. Unter der Regierung des Abtes Leopold II. Reichl wurde für die nach einem Brand 1764 neu eingeweihte Kirche die neue Orgel bei Franz Xavier Chrismann bestellt. Chrismann (auch Chrismann, Krizmann, Krismann) stammte aus Reiffenberg bei Görz in der Krain und wurde 1750 zum Priester geweiht. 1754 war er Lehrling bei dem bedeutenden venezianischen Orgelbauer Pietro Nacchini. Er lieferte zuerst aus seinen eigenen Werkstätten in Wippach in der Krain Orgeln in die Gegend um Laibach und kam um 1764 nach Oberösterreich, um seinen ersten Auftrag nördlich der Alpen wahrzunehmen. Die offenbar sehr gut gelungene neue Orgel in Engelszell brachte Chrismann einige Jahre später einen weiteren Auftrag in St. Florian ein. In dieser Stiftskirche baute er in den Jahren 177074 das zweitgrößte Orgelwerk, das bis zum Ende des 18. Jahrhunderts überhaupt gebaut wurde.
Chrismanns neue Orgel in Engelszell, die wahrscheinlich zwei Jahre nach dem Kirchenneubau 1766 fertig war, erklang nur zwanzig Jahre bis zum Tod des Abtes Reichl 1786. In diesem Jahr wurde das Stift Engelszell säkularisiert. Zwei Jahre vorher, 1784, war das Bistum Linz durch Kaiser Josef II. gegründet worden und die ehemalige Jesuitenkirche (1773 wurde der Jesuitenorden aufgelöst) wurde Domkirche. (Am 1. Mai 1909 wird dem 1814 wiederhergestellten Jesuitenorden der nunmehr Alte Dom wieder zurückgegeben).
Die in der neuen Domkirche vorhandene Orgel erwies sich bald als untauglich. Eine Eingabe an den Bischof erinnert 1786 „...daß die dermalige Orgel in der Domkirche unbrauchbar und irreparable sey“ und „so hat man ... Xav. Chrismann ... den Auftrag gemachet, daß er die hiesige Domkirchen Orgel untersuchen solle. Vermög seinen angelegenen Berichts gesteht er nie etwas in dieser Art schlechteres angetroffen zu haben.“
Offenbar plante das Domkapital aus Geldmangel nicht einen Neubau, sondern suchte den Erwerb einer bereits vorhandenen Orgel. Infolge der Josephinischen Klosteraufhebungen standen viele Orgeln und sonstiges Kircheninventar aus aufgehobenen, bzw. geschlossenen Kirchen zur Verfügung. So dachte man bei der Suche nach einer passenden Kathedralorgel an die Instrumente von Baumgartenberg, Gleink, St. Florian und Engelszell. Die Entscheidung fiel schließlich auf die Engelszeller Stiftsorgel: „...Seitdem aber hat sich der Fall geändert, dann, da der Abbt zu Engelszell gestorben,... so dürfte wohl izt der Zeitpunkt vorhanden sein, diese prächtige Orgel, die in Engelszell gar nicht an ihrem verdientem Platz ist, hierher zu Transferhirn, wenn sie sich anders auf den hiesig etwas niedern Kohr aufstellen lässt,...“ (Hofbericht J. Eybels vom 30. 11. 1786).
Fr. X. Chrismann reist 1787 zusammen mit dem Domkapellmeister J. Gg. Roser und Daniel List, „Orgelmacher im Stift St. Florian“, nach Engelszell, um eine Besichtigung der Orgel vorzunehmen. Das Hauptproblem bildete die räumliche Anpassung der Orgel, weil es „würde durch Aufsetzung der Engelszeller-Orgel wegen ihrer unabgeteilten...Bauart, die auch wegen ihres sehr großen Kastens, durch welches der Dom-Chor seine Liechte empfängt, gänzlich verbaut, und der Chor so verfinstert, daß gar kein Musicus seine Musicalien geschweige Noten sehen würde.“ Und außerdem „würde die Herstellung der Engelszeller Orgel mehr dann 3000 fl Unkösten verursachen; denn a. müsste diese Orgel, um Liechte zu bekommen, in zwey Kästen umgestalt werden, b. wäre die Registratur herauszusetzen, c. müsste sowohl das Pedal, als Manual verstärket werden, weil einige nur Halbregister sind, mithin wegen viel mehreren Höhe und Größe der Domkirche gegen die Engelszeller Kirche wenig Ausfalle oder laute haben würde...“
Jedenfalls hat Chrismann 1789 schließlich den Auftrag für die Übertragung und Neuaufstellung der Engelszeller Orgel in der Linzer Domkirche erhalten: „H. Chrismann übernimmt die Übersetzung der von allerhöchsten Hof verwilligten Engelszeller Orgel in die hiesige Domkirche, dergestalten, daß er selbe nach beiliegenden Verzeichnis (und diß mit Positiv) herzustellen, und zu verstärken sich anheischig machet, nur hat die Domkirche das Schieflohn von Engelszell bis Linz zu tragen. Dafür wird ihm 2 t von Seite der Domkirche 3100 fl ausgeworfen, und gleichem er auch 3 t die Herschaffung des ganz neuen erforderlichen Orgelkastens auf sich genommen, so werden ihm auch dafür einverstandener maßen 300 fl ausgeworfen.“
Chrismann führt die Arbeiten 179092 durch. Belegt sind 1790 die Vorauszahlung von 2250 fl und die letzten Zahlungen an die Handwerker für den Umbau des Chores 1792. Die letzte der vereinbarten Ratenzahlungen erfolgte 1795 an Chrismann. Er selbst stirbt in diesem Jahr am 20. Mai während der Arbeiten an der neuen Orgel in Rottenmann/Steiermark.
Am 14. November 1855 wird Anton Bruckner nach einem glänzend absolvierten Probespiel provisorisch als Dom- und Stadtpfarrorganist angestellt. Auf sein Ansuchen vom 18. Dezember 1855 „...von der wohllöblichen Vorstehung die gnädigste Berücksichtigung hoffend, daß der untertänigste Bittsteller auf alle ihm mögliche Weise mit allem Fleiße bemüht sein wird, sich immer weiterauszubilden, welchen Beruf er schon lange in sich fühlt, erlaubt er sich ehrfurchtsvolle Bitte nochmals zu wiederholen: Wohllöbliche Gemeindevorstehung der k.k. Kronlandhauptstadt Linz wolle ihm bei der Besetzung dieses Dienstpostens die Anstellung gnädigst verleihen...“ erhält Bruckner am 25. April 1856 seine defintive Anstellung mit einem Jahresgehalt von 448 Gulden. (daneben noch einige Stiftungsgebühren von 72 fl 37 kr und eine Dienstwohnung).
Am 2. Oktober 1856 legt er „von seiner Bischöfl. Gnaden mündlich aufgefordert“ „einige Erklärungen über den Zustand der Domorgel zum Behufe einer etwaigen (notwendigen) Reparatur“ vor. Diese als Reparatur in Angriff genommenen Maßnahmen stellten sich allmählich als ein in kleinen Etappen durchgeführter und immer einen Schritt weitergehender Umbau der Orgel heraus, den Bruckner zielstrebig vorantrieb. 1867 waren die Umbauten endlich abgeschlossen und hatten zu einem neu konzipierten Werk mit verändertem Gehäuse geführt; teilweise war dafür technisches und klangliches Material weiterverwendet worden. Die Veränderung des Gehäuses bestand in der Entfernung des Emporenpositivwerkes und der Aufstellung eines nun Oberwerk genannten dritten Manualwerkes zwischen den beiden Hauptgehäusen.
Alle diese Arbeiten wurden von dem Ottensheimer Orgelbaumeister Josef Breinbauer (18071882) durchgeführt, den man als einen im österreichischen Raum führenden Meister seiner Zeit bezeichnen muß. Über die ursprüngliche Gestalt der Orgel gibt der „Überschlag“ Breinbauers vom 2. Juli 1857 einigen Aufschluß: „über jene Verbesserungen der Domorgel in Linz, welche nicht zur Hebung des Chores und zur Zurücksetzung des Positives gehören. Nachdem die Windlade für das untere Manual nicht wie bei anderen Orgeln mit Schleifen gemacht ist, so kann in diesem Manual keine Veränderung in den Stimmen hervorgebracht werden, sondern es ist nur als eine Mixtur zu betrachten, und kann zur Begleitung des Choralgesanges gar nicht gebraucht werden...“. Das Hauptwerk war also von Chrismann als Blockwerk angelegt. Das zweite Manualwerk beschreibt Breinbauer: „Zum mittleren Manual sind 20 Registerzüge angebracht, wovon aber nur ein Register durch das ganze Manual gespielt werden kann, nämlich Prinzipal 8 Fuß. Die übrigen sind halbe und teilweise zusammengekoppelte Züge“. Chrismann hatte das Mittelmanual nach italienischer Manier als Farbwerk mit zahlreichen geteilten Registern besetzt.
Nicht nur der Wandel der klanglichen Vorstellung sondern auch kirchenmusikalische Beweggründe waren für die von Bruckner gewünschte und von Breinbauer besorgte Umgestaltung ausschlaggebend. Der spätbarocke Chrismannische Orgeltyp war geschaffen für eine lateinische Liturgie, in der der Gregorianische Choral, die Continuo-Ausführung bei Orchestermessen und solistisches Orgelspiel dominant waren.
Als nach den Theresianischen und Josephinischen Reformen der kirchliche Volksgesang in den Hauptgottesdienst immer präsenter geworden war und sich außerdem die Klangvorstellung des 19. Jahrhunderts stärker artikuliert hatte, vermochte die Chrismann-Orgel mit ihren barocken Klangmustern verständlicherweise nicht mehr in gleichem Maß zu entsprechen. Das neue Resultat mit Einzelstimmen im Hauptwerk, ein grundstimmenbetontes Mittelmanual und das in die Klangebene der Hauptorgel zurückversetzte Positiv kamen den veränderten Erfordernissen weitaus besser entgegen.
Am 19. September 1867 berichtet die Linzer Zeitung: „...dem selbst außerhalb der Gränzen Österreichs rühmlichst bekannten Orgelbauer Herrn Josef Breinbauer in Ottensheim war es vorbehalten, das verschollene Kunstwerk einer durchgreifenden Reparatur beziehungsweise Umgestaltung zu unterziehen, aus der es nun in neuer Herrlichkeit zur Freude aller Freunde der Kirchenmusik hervorgegangen ist... So hätte nun Linz wieder eine Orgel, welche in Hinsicht auf Fülle und Kraft des Tones zu den besten Werken ganz Österreichs zählt und unter Meisterhand unseres Domorganisten Bruckner das Lob des Herrn verkündet.
Ein Jahr nach der Fertigstellung der Orgel erhielt Bruckner nach mehreren Ansuchen an den Obersthofmeister Fürst Hohenlohe („...jetzt glaubt er die flussfällige Bitte wagen zu dürfen, um hochgnädige Befürwortung zur allerhöchsten Verleihung der Aufnahme in die k. k. Hofkapelle als k. k. Hoforganist, oder als überzähliger unbesoldeter k. k. Vizehofkapellmeister. Im letzten Falle wäre der Titel, so wie seine Zukunftshoffnung hinreichend, ihm ein nötiges Einkommen zu sichern. Überdies ist er im Kanzleifache, so wie als Hauptschullehrer zu verwenden, da er 14 Jahre als Lehrer zugleich gedient hat...“) am 14. Oktober 1867 nachdem der Hoforganist Simon Sechter gestorben war die Berufung als k. k. Hoforganist und Professor am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. An die Orgel im Linzer Dom kehrte er jedoch, wie auch an die Orgel in St. Florian, immer wieder zurück.
Vielleicht ist an dieser Orgel auch ein persönlicher Zug des Menschen Anton Bruckner zu erkennen: an der Vorderfront des frei in der Mittelachse der Empore situierten Spieltisches stehen unter einer Randleiste des Spieltischdeckels mit weichem Bleistift in Kurrentschrift geschrieben unauffällig die Worte „lebe wohl“. Jeder Versuch einer Datierung oder Zuweisung durch Schriftvergleiche muß daran scheitern, daß der Schreiber auf einem von starken Maserungen durchlaufenen Weichholzbrett nur um das korrekte „Malen“ der Buchstaben bemüht sein kann. Wer aber mag sich auf diese Weise vom Spieltisch der Orgel von seinem Instrument verabschiedet haben? Wer sonst konnte persönliche Beziehungen zu diesem Instrument auf solche Weise zum Ausdruck bringen?
Mit seinem Linzer Amtsnachfolger Karl Waldeck (1841 1905) stand Bruckner in einem besonders guten und freundschaftlichen Verhältnis, das beim jüngeren Kollegen mit Respekt und Achtung vor dem älteren Freund und Vorbild verbunden war. Daher ist anzunehmen, daß Waldeck die von ihm 1892 vorgeschlagene kleine Dispositionsänderung mit Bruckner besprochen hat. Diese Arbeit wurde von Josef Breinbauers Sohn Leopold Breinbauer d.Ä. (1859 1920) ausgeführt.
Der Alte Dom wurde 1909 wieder den Jesuiten übergeben; eine neu erbaute, wesentlich größere Domkirche hatte ihn zum „alten“ Dom gemacht und ihn in seiner Funktion als Domkirche abgelöst. Nachdem die Orgel durch störende Eingriffe, unsachgemäße Behandlung und mangelnde Pflege gelitten hatte, wurde im Dezember 1978 der Auftrag zur Restaurierung an die Firma Rieger-Orgelbau, Schwarzach, vergeben. Restaurierprojekt wurde vom Bundesdenkmalamt (Dr. Otto Biba und Prof. Josef Mertin) betreut und vom Brucknerbund für Oberösterreich organisatorisch und finanziell ermöglicht.
Heute präsentiert sich die Orgel als authentisches, in dieser Art einzigartiges Bruckner-Monument. Bruckners Einfluß auf die Konzeption des Instrumentes und die Arbeit des Orgelbauers während seines künstlerischen Wirkens an ihr hat sie zu einem einzigartigen Dokument für die Kenntnis von Bruckners Klangvorstellung und Spielpraxis gemacht. Das bedeutet auch, daß die Möglichkeiten der Orgel frappante Beobachtungen in Bezug auf die Spiel- und Interpretationsweise des 19. Jahrhunderts zulassen. So kann etwa Farbe nicht durch interessante weiträumige Harmonien, sondern in erster Linie durch das Registrieren erzielt werden. Die Farbmischungen, die hier mit den einzelnen Stimmen möglich sind, die vielfältigen Aequal-Registrierung sowie die Kombination und Gegenüberstellung von prinzipalen, Weitchor und Streichern können zu vielfachen Studien über das Klangideal der österreichischen Orgelromantik einerseits und Bruckners Orgelstil (mit seinen Auswirkungen auf den Symphoniker Bruckner) andererseits anregen. Damit, aber auch mit der Anschlagkultur und Artikulationstechnik, welche die Orgel beim Organisten voraussetzt, können auch manche Spekulationen und manches Klischeebild vom Organisten Bruckner revidieren, beziehungsweise durch authentische Beobachtungen ersetzt werden. Entgegen mancher zeitgenössischen Vorstellung können wir erkennen, daß Bruckner („viele haben ihn den größten Orgelspieler genannt, den die Welt seit Johann Sebastian Bach gesehen hat“. E. Hanslick) in seiner Spielweise noch der alten Praxis gefolgt sein muß, bzw. sie selbstverständlich beherrscht hat.
|