Zur Geschichte der Silbermann-Orgel Crostau
I. Der Orgelbauer Gottfried Silbermann
Gottfried Silbermann wurde am 14. Januar 1683 im erzgebirgischen Kleinbobritzsch nahe Frauenstein geboren. Um das Handwerk des Orgelbaus zu lernen, ging Silbermann 1701 nach Straßburg. Dort hatte sich kurz zuvor sein fünf Jahre älterer Bruder Andreas Silbermann (1678–1734) als Orgelmacher niedergelassen, der den Elsass mit seinen
hervorragenden Instrumenten ähnlich prägen sollte, wie sein jüngerer Bruder es in Sachsen tat.
Als Meister gründlich in der Kunst des Orgelbaues ausgebildet, kehrte Gottfried Silbermann 1710 in seine sächsische Heimat zurück. In Frauenstein und ab 1712 in der Freiberger Werkstatt sind in
Zusammenarbeit von drei bis höchstens acht Mitarbeitern die neuen Orgeln entstanden. Sein reichlich vier Jahrzehnte ausfüllendes Lebenswerk nötigt uns immer wieder höchste Bewunderung ab. Drei Fähigkeiten – nicht jedem Orgelbauer gleichermaßen in die Wiege gelegt – waren seine
„wuchernden Pfunde“: Fleiß und ein ihm von Gott verliehenes Talent – Musikalität – Geschick im kaufmännischen Geschäft.
Singulär in der Geschichte des Orgelbaues ist wohl die Kompromisslosigkeit, mit der er die Verwendung von Bestandteilen und Pfeifen vorhandener Orgeln ablehnte. So stellen alle seiner 50 Orgeln, von denen 31 erhalten sind, vollkommene Neubauten dar. In der logischen Folge konnte Silbermann seine Schaffensprinzipien ohne Abstriche durchsetzen und mustergültige Instrumente formen. In der Zählung der Orgelwerke Gottfried Silbermanns steht die Crostauer Orgel an 28. Stelle, also in der Mitte seiner Schaffenszeit – 20 Jahre nach dem Bau der Orgel im Dom zu Freiberg (1711/14), die von vielen Experten zu den schönsten Orgeln der Welt gezählt wird und 20 Jahre vor seinem größten Werk, der hauptsächlich von seinen Gesellen vollendeten und nicht minder bedeutenden Orgel der Katholischen Hofkirche zu Dresden (1750/55). Über deren Bau verstarb Gottfried Silbermann am 4. August 1753.
Silbermann war sich seines Ranges als hervorragender sächsischer Orgelbauer durchaus bewusst; auch wurden ihm schon zu Lebzeiten Ehre und Anerkennung zuteil. Als Beispiel genannt sei das ihm 1723 vom Hof des sächsischen Kurfürsten zu Dresden verliehene Privileg eines „Königlichen Hoff- und Land-Orgel-Bauers“, mit dem u.a. gewisse Begünstigungen bei der Vergabe von Aufträgen zu Orgelneubauten innerhalb Sachsens verbunden waren.
II. Errichtung der Silbermann-Orgel Crostau
Als sich der Auftrag für einen Orgelneubau Gottfried Silbermanns in Stolpen zerschlug, beauftragte Christian Heinrich Graf von Watzdorf, zu dessen Besitz das Rittergut Crostau zählte, den Orgelbauer mit der Errichtung eines Instrumentes in der Crostauer Kirche. Silbermann kam
der Auftrag offenbar gelegen, da ihm für das Jahr 1732 keine weiteren Aufträge vorlagen.
Der in der Crostauer Chronik mit 1700 Talern ungewöhnlich hoch angegebene Preis der Orgel schließt vermutlich Nebenkosten für nötige Zimmerer- und Maurerarbeiten ein.1 In der Crostauer Chronik ist allerdings zu diesem hohen Preis vermerkt: „Wieviel solches gekostet, ist Gerücht, doch aber sehr glaublich; denn jetzo würde sie gewiß weit höher kommen.“
Der Weihetermin wurde vermutlich wegen Bauverzögerungen vom 2. November 1732 auf den 5. November verschoben. Abweichend von dem sonst üblichen Klaviaturumfang in den Manualen
C, D bis c3 bereicherte Silbermann die Crostauer Klaviaturen um die Töne cis3 und d3. Einen solchen Umfang hatten außer einem Positiv in Schweikershain nur noch die großen Instrumente in Dresden und die Orgel in der Johanniskirche Zittau.
Schon lange Zeit begrenzt die Crostauer Orgel den Schaffensbereich Silbermanns nach Osten hin, denn die große dreimanualige Orgel der Johanniskirche Zittau wurde bereits 1757, nur 16 Jahre nach ihrer Fertigstellung, im Siebenjährigen Krieg zerstört. Im Norden reicht Silbermanns Tätigkeit bis nach Großkmehlen und Lebusa in Brandenburg, im Westen bis Schloß Burgk in Thüringen und im Süden bis ins sächsische Vogtland und Erzgebirge. In einem Umkreis von weniger als 100 km sind um die Stadt Freiberg konzentriert Kirchen mit Silbermann-Orgeln anzutreffen, wobei Freiberg selbst ehemals in vier Kirchen und in einer Privatwohnung fünf Instrumente des Meisters aufzuweisen hatte.
III. Der Stifter der Orgel
Über den Besitzer des Crostauer Schlosses, Christian Heinrich Graf von Watzdorff, dem Stifter der Orgel, bemerkt die Crostauer Chronik von 1796: „Christian Heinrich, des heil. röm. ReichsGraff von Watzdorff, Sr.Königl: Majest. in Pohlen und Churfürstl: Durchl. zu Sachß:wohlbestallter Kammerherr; Hof-und JustitienRath; Domprobst des Stifts St. Petri zu Budißin; auch Domherr der beyden freien Stifter, Meißen und Naumburg. Er ließ ao: 1732. in hiesiger Kirche ein schönes neues Orgelwerk von vorzüglicher Güte von den berühmten Orgelbauer Silbermann, aus Freiberg, erbauen, welches ohne die Kost 1700 Rthlr. gekostet hat ... Er würde auch das sehr schadhafte Kirchengebäude repariret und erweitert haben, wenn nicht 1733. die Ungnade des Königs Augustus II. ihn auf den Königstein als Arrestant gebracht hätte, allwo er auch Todes verblichen.“
Neue Forschungen zum Geschlecht derer von Watzdorf zeichnen ein genaueres Bild des Crostauer Orgelstifters: Christian Heinrich Graf von Watzdorf begeisterte sich in besonderem Maße für Musik und Literatur. Er spielte Cembalo, Laute und Violine. Freundschaftlich war er dem italienischen Komponisten und Violinisten Tomaso Albinoni verbunden. Zum Kammerherrn sowie Hof- und Justizrat ernannt, versagte er auf diplomatischer Mission aufgrund seines hochfahrenden Wesens.
Mit Familie und Hof zerstritten, erregte auch sein Lebenswandel – mehrere uneheliche Kinder mit Geliebten niedrigeren Standes und die Vergewaltigung der Tochter seines Crostauer Pächters – Anstoß.
Als Domherr zu Meißen war er Teil einer Abordnung, die nach dem Tode Augusts des Starken zum neuen sächsischen Kurfürsten geschickt wurde. Augenscheinlich nur aufgrund der günstigen Gelegenheit ließ August II. den „wegen seiner Unberechenbarkeit und gelegentlichen Peinlichkeit“ zur Last gewordenen Grafen am 3. April 1733 verhaften und auf der Festung Königstein inhaftieren.
Die Haftbedingungen entsprachen seinem Stand – er trug Perücke, speiste von Silber- und Porzellangeschirr reichhaltige Speisen und hatte Musikinstrumente zur Verfügung. Anfragen zu seiner vermeintlichen Schuld oder Freilassung stießen allerdings auf taube Ohren beim Dresdner
Hof. Infolge eines Streites mit Angehörigen der Festung und Briefen, in denen er die Untersuchungskommission und den Kurfürsten mit „ungebührlichen Ausdrücken“ beschimpfte, wurde ihm der Titels eines Kammerherren entzogen. Das Geheime Kabinett verurteilte ihn – ohne
reguläres Gerichtsurteil – „auf seine ganze Lebenszeit zu engem Gefängniß auf Unserer Vestung Königstein“ wegen Majestätsbeleidigung. Sein Eigentum fiel mit seinem Tod 1747 an den Fiskus.
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